Jagdschloss und Witwensitz des Hauses Württemberg
Das Böblinger Schloss
Autor: Dr. Günter Scholz
Kaum mehr als die Bezeichnung Schlossberg erinnert heute noch an das Böblinger Schloss, das rund ein dreiviertel Jahrtausend lang die Stadtsilhouette von Böblingen geprägt hat. Als wehrhafte Burganlage des Mittelalters, als Mittelpunkt höfischer Kultur an der Schwelle zur Neuzeit, als städtisches Schulzentrum im bürgerlichen Zeitalter des 19. Jahrhunderts und das Mahnmal der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg bildete es ein steinernes Zeugnis der Stadtgeschichte von erstem Rang.
Nur wenig ist über die Anfänge von Burg und Schloss Böblingen bekannt. Die Burganlage, die bereits vor der Mitte des 13. Jahrhunderts im Besitz der Pfalzgrafen von Tübingen war, hatte wehrhaften Charakter und bildete gemeinsam mit der befestigten Stadt die “Veste Böblingen“. Kern der Burg zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert war die im Südflügel gelegene beheizbare Dürnitz mit Brunnen, Keller, Küche und Gemächern.
Im 16. Jahrhundert wurde die 1344/57 an das Haus Württemberg gelangte Böblinger Residenz zu Zeiten Herzog Ulrichs und Christophs um- und ausgebaut. Der Schlossgarten wurde von einem niederländischen Gartenbaukünstler gestaltet und mit Lusthaus und Brunnen ausgestattet.
An eine Besonderheit der frühneuzeitlichen Residenzkultur erinnern die Wölfe, Luchse und Bären, die in den Schlossgräben zur Kurzweil der Herrscher gehalten wurden. Für die Untertanen brachte das Schloss freilich mehr Last als Lust in Gestalt vor allem von Fuhr- und Handfrondiensten.
Über die Gestaltung des aus zwei Flügeln bestehenden Böblinger Schlosses geben Stadtansichten, unter anderem von Andreas Rüttel, Matthäus Merian und Andreas Kieser, sowie Gebäudegrundrisse aus der Zeit um 1800 Aufschluss. Über die Innenausstattung der Räume, beispielsweise des Fürstengemachs, des Jungfrauengemachs, der Edelknabenkammer oder der Küchenmeisterstube, enthält ein Inventarverzeichnis aus dem frühen 17. Jahrhundert detaillierte Angaben.
Das Schloss, das auch der guten Böblinger Luft wegen geschätzt war, diente vor allem als Jagdschloss. Nach dem im Schönbuch vollbrachten Weidwerk wurden hier aufwendige Jagdfeste gefeiert. Herzog Karl Alexander, an dessen Jagdleidenschaft die Pirschgänge auf Böblinger Markung erinnern, baute einen Ballsaal mit französischen Kaminen in das Schloss ein.
Die Überlieferung weiß zu berichten, dass bei einem Rokokofest der Bär auf Schloss Böblingen los gewesen sei, was Höflinge und Hofdamen erbleichen ließ. Ein geistesgegenwärtiger Page konnte mit einer brennenden Fackel, die er ihm vor die Nase hielt, den Rückzug des in den Ballsaal eingedrungenen Bären erzwingen.
Der Südflügel des Böblinger Schlosses und die Stadtkirche vor der Zerstörung im 2. Weltkrieg. (© Landesmedienzentrum Baden-Württemberg / Hans Schwenkel. Signatur: LMZ915121)
Ihre wohl bedeutendste Zeit hat die Böblinger Residenz bereits im 15. Jahrhundert erlebt. Damals war sie einer der Witwensitze des Hauses Württemberg. Diese Tradition hatte 1394 begonnen, als Graf Eberhard III. der Milde seiner Mutter Elisabeth (gestorben 1402) Schloss Böblingen zuwies. Durch den Tod ihres Gatten, Graf Ulrich, in der Schlacht bei Döffingen (1388) war sie Witwe geworden.
Nach dem Tod Graf Ludwigs I. (1450), der sich öfter hier aufgehalten hat, nahm Gräfin Mechthild (1419 – 1482) ihren Witwensitz in Böblingen. Die Gräfin beziehungsweise spätere Herzogin und Erzherzogin Mechthild wurde in Heidelberg geboren. Ihr Vater, Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz, war Begründer der berühmten Heidelberger “Bibliotheca Palatina“, deren Bücherschätze im Dreißigjährigen Krieg nach Rom überführt wurden. So war der Sinn für Wissenschaft und Kunst Mechthild von ihrer Herkunft her gleichsam in die Wiege gelegt.
In Böblingen besaß die jugendliche Witwe einen eigenen Jagdbezirk. “Stolz zu Ross, den Jagdfalken auf der Hand, ging sie in der seenreichen Umgebung Böblingens auf die Reiherbeize“, berichtet der Chronist. Auch an ritterlichen Turnieren erfreute sich Mechthild. Doch kaum weilte sie ein Jahr auf Schloss Böblingen, gedachte sie sich wieder zu vermählen. Um ihre Hand ließ Herzog, seit 1453 Erzherzog Albrecht VI., der Regent der Vorderösterreichischen Lande und Bruder Kaiser Friedrichs III., anhalten.
Mit der “Böblinger Fürstenhochzeit“, die um den 10. August 1452 auf Schloss Böblingen stattfand, erlebte die Stadt das vielleicht glanzvollste Ereignis ihrer Geschichte. Durch die Ehe mit Albrecht VI. wurde Mechthild Schwägerin des Kaisers und damit nach der Kaiserin zur ranghöchsten Dame des Reiches.
Zu den Witwen auf Schloss Böblingen von geschichtlichem Rang zählt außerdem Barbara Gonzaga von Mantua, die Witwe Herzog Eberhards im Bart von Württemberg. Mit ihr, die von 1496 bis zu ihrem Tod im Jahr 1503 in Böblingen lebte, kam die Stadt in Berührung mit der italienischen Renaissance-Kultur. Mantuanischer Tradition entsprechend war Barbara eine Gartenliebhaberin. 1501 erwarb sie in Böblingen einen Garten am Oberen See: Daran erinnert noch heute die Bezeichnung „Herrschaftsgartenstraße“.
Schloss und Kirche um das Jahr 1643 in der Stadtansicht von Matthäus Merian. (Bild: Stadtarchiv Böblingen)
Die Böblinger Schlossherrlichkeit ging am Vorabend des industriellen Zeitalters zu Ende. Letzter Schlosskastellan war der Vater Wilhelm Ganzhorns, des in Böblingen geborenen Dichters des Heimatliedes „Im schönsten Wiesengrunde“.
Mit dem Sinn fürs Praktische hat die Stadt Böblingen das Schloss 1817/19 erworben und zu einem frühen Schulzentrum umfunktioniert, das manchem älteren Böblinger noch in guter oder weniger guter Erinnerung geblieben ist. Der Nordflügel des Schlosses wurde bereits im Jahr 1840 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Der mächtige Südflügel wurde im Zweiten Weltkrieg beim Luftangriff vom 7./8. Oktober 1943 zerstört.
Erstveröffentlichung: Denkmale in der Nachbarschaft – gesehen und besucht im Kreis Böblingen, Röhm Verlag Sindelfingen 1990.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Sindelfinger Zeitung/Böblinger Zeitung
Der Autor, Dr. Günter Scholz, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik an der Universität Tübingen. Seit 1981 leitete er das Böblinger Stadtarchiv, später auch das von ihm konzipierte Bauernkriegsmuseum. Von 1993 bis 2005 leitete er das Böblinger Kulturamt.
Literaturhinweise:
“Das Schloß sich hoch erhebend …“ – Der Böblinger Schloßberg und seine Geschichte.
Mit Beiträgen von Günter Scholz und Hansmartin Ungericht, hrsg. von Günter Scholz, Böblinger Museen 1997.
Fürstliche Witwen auf Schloß Böblingen. Ausstellungskatalog, herausgegeben von Dr. Günter Scholz unter Mitarbeit von Sabine Ferlein, Böblingen 1987.