Das Leonberger Schloss als Witwensitz
Autor: Michael Wenger
Bereits im Heiratsvertrag eines Fürstenpaares wurde in der Regel ein sog. Widdum festgelegt, das nach dem Tod des Gatten die Versorgung der Witwe sicherstellen sollte. Zumeist lagen diese Güter abseits der Residenz. Böblingen diente in seiner Geschichte u.a. Gräfin Mechthild (1419 1482) und Barbara Gonzaga (1455-1503) als Witwensitz. In ihrer Ausgabe 1/2004 widmete die Zeitschrift Schlösser Baden-Württemberg den fürstlichen Witwensitzen einen längeren Beitrag. Lesen Sie daraus im folgenden den Abschnitt zum Leonberger Schloss:
Leonberg bleibt wohl für immer mit einer Schöpfung Sybillas von Anhalt, der Witwe Herzog Friedrichs I., verbunden: mit dem weitberühmten Pomeranzengarten. Das Schloss hatte Herzog Christoph nach Plänen Aberlin Tretschs durch Silvester Berwart 1560 – 70 weitgehend neu errichten lassen. Christoph überzog sein wiedererstarktes Land mit Schlössern, um Macht und Präsenz zu demonstrieren. Er hatte das mächtige, äußerlich aber eher unscheinbare Bauwerk im Inneren ansprechend mit Kassettendecken und architektonisch sowie ornamental gestalteten Portalen ausgestalten lassen. Er nutzte es bis zu seinem Tod für allerlei Lustbarkeiten, vorwiegend aber als Jagdabsteige.
Sybilla hatte 1608 also ein durchaus ansehnliches Erbe angetreten. 1609 wurde das Innere des Schlosses prächtiger als die Witwensitze zuvor bereitet. Ihr Gemach war mit schwarzem Samt ausgekleidet, der Baldachin samt dem zugehörigen Sessel in gleicher Weise bezogen. Für ihren ältesten Sohn, Herzog Johann Friedrich, hatte sie ein Gemach eingerichtet, das mit Wandbehängen, Bett- und Fenstervorhängen aus rotem Taft ausgestattet war. Für den Zweitältesten, Ludwig Friedrich, wählte sie die Farbe Grün. Da sie hohe Gäste empfangen können wollte, ließ sie ein aufwändiges Gastquartier anlegen, das mit blauem Damast ausgekleidet war und eine vergoldete Ledertapete besaß. In der Tafelstube präsentierte sie unter einem schwarzen Samthimmel das Allianzwappen Württemberg-Anhalt. Dies alles zeugt von hohem Selbstbewusstsein der gebildeten und als Mitregentin eingesetzten Witwe.
Sybilla von Württemberg, geborene Anhalt-Zerbst-Bernburg (1564-1614), Witwe Herzog Friedrichs I. Das Paar hatte 15 Kinder. (Foto: Wikimedia Commons / public domain)
1609 beauftragte sie Heinrich Schickardt mit der Anlegung eines Lustgartens. Bis 1613 kaufte man weiteres Gelände für einen Baum- und Küchengarten. In dieser Zeit errichtete man die Altane für den als Terrassenanlage italienischer Provenienz gestalteten Pomeranzengarten. Seinen ursprünglichen Idealplan passte Schickhardt den tatsächlichen Gegebenheiten an, indem er die in der Renaissance übliche Quadrataufteilung zu querrechteckigen Beeten abänderte. Während er die Beeteinteilung (in gestreckter Form) und die Lusthäuschen an den Kanten beibehielt, zog er die beiden vorgesehenen, mittigen Wasserbecken zu einer sechseckigen Brunnenanlage mit Obelisk zusammen. Seit einigen Jahren kann die rekonstruierte Anlage wieder besichtigt werden.
Noch zwei Mal sollte Leonberg als Witwensitz fungieren: Anna Sabina von Holstein-Sonderburg, Witwe des Herzog-Administrators Julius Friedrich, konnte 1649 – 59, Magdalena-Sibylla von Hessen-Darmstadt, Witwe Herzog Wilhelm Ludwigs, sollte 1677 – 1712 das Schloss nutzen. Immer wieder als Jagdquartier verwendet, beherbergt der Bau seit dem späten 18. Jahrhundert vorwiegend Ämter und Beamtenwohnungen.
Das Doppelwappen Württemberg/Anhalt ließ Herzogin Sybilla ursprünglich an der alten Kelter anbringen. Nach deren Abbruch wurde das Wappen im Innenhof des Leonberger Schlosses in den Bau des Finanzamts eingelassen. (Bild: Susanne Schmidt)
Erstveröffentlichung: “Viele verwischte Spuren und ein Pomeranzengarten - Fürstliche Witwensitze in Württemberg“. In: Schlösser Baden-Württemberg 1/2004, S. 32.
Auszugsweise Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Schlösser Baden-Württemberg.
Zahlreiche aktuelle Informationen zu den Schlössern, Klöstern, Burgen und Gärten des Landes finden Sie auf der Internet-Seite der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg.
Literaturhinweis:
Hansmartin Decker-Hauff: Das Leonberger Schloss als Witwensitz.
In: Leonberg eine altwürttembergische Stadt und ihre Gemeinden im Wandel der Geschichte
Stuttgart 1992, S. 121-125