Die Ehninger Zehntscheuer
Autor: Ulrike Weiß
Seine Hoheitsrechte hatte der Ehninger Ortsadel im Dorf schon im ausgehenden Mittelalter verloren, er war selbst zum Lehensnehmer des Hauses Württemberg geworden. Die Grundherrschaft im Dorf hatten die Württemberger inne, vertreten durch den Vogt, später den Oberamtmann aus Böblingen. Ständig sichtbare Vertreterin der Grundherrschaft im Ort war die Zehntscheuer.
Der „Zehnt“ (eigentlich: der „zehnte Teil“, was aber nicht unbedingt wörtlich zu nehmen ist) war eine Naturalsteuer auf landwirtschaftliche Erträge. Der sogenannte „große Zehnt“, die Abgaben an Getreide und Heu, gingen an den Grundherren, also in Ehningen seit dem 16. Jahrhundert an das Haus Württemberg. Der „kleine Zehnt“, meist Abgaben aus den Gärten und Krautländern, stand in der Regel der Geistlichkeit zu. Auch Geflügel und, als Dreingabe, etwas Gebäck, konnte zum „Zehnten“ gehören. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Naturalabgaben in Geldsteuern umgewandelt.
Der Zehnt wurde von sogenannten „Zehntknechten“ während der Ernte noch auf dem Feld eingesammelt und in der Zehntscheuer verwahrt:
„War die Ernte- oder Herbstzeit gekommen, so meldete sich der Zehnter, dem das Eintreiben des Zehnten oblag, beim Pfarrherrn. Er kam mit einem mehr als mannshohen spitzen Stabe, dem Zehntstabe, und zeigte dem Geistlichen an, dass er aufs Feld gehe, um seines Amtes zu walten … Die Bauern waren gehalten, die Getreidegarben in Reihen, Flachs und Hanf in Büscheln, Heu und Öhmd, Kartoffeln, Rüben, Bohnen u. dgl. in Haufen und Häufchen bereit zu legen und liegen zu lassen, bis der Zehnter mit seinem Stab erschien, und jede zehnte Garbe, jeden zehnten Büschel oder Haufen wegnahm, auf den Wagen lud und wegführte.“1 …
Blick vom Kirchenportal zur Ehninger Zehntscheuer. Der Bereich wurde zwischen 2012-15 in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt neu gestaltet. Die ehemals angrenzende Scheune wurde abgerissen und stattdessen ein Neubau errichtet, der Teile der Ehninger Bücherei enthält. (Foto: Susanne Kittelberger)
In großen Ortschaften sind die Zehntscheuern z. T. mächtige, wappengeschmückte Steinbauten. Häufig heben sie sich durch aufwendiges Zierfachwerk, immer aber durch ihre auffallende Größe von den Scheuern der Bauern ab.
So betrachtet ist die Ehninger Zehntscheuer ein verhältnismäßig bescheidener Bau, gut vergleichbar übrigens der Zehntscheuer in Schönaich, die 1765 datiert ist, einem schlichten Fachwerkbau ohne Steinsockel, mit Schopfwalm und Dachgauben. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist sie an ihrem heutigen Platz nachweisbar. Der bestehende Bau stammt aus der zweiten Hälfte bzw. dem Ende des 18. Jahrhunderts. Vielleicht erhebt er sich auf den Fundamenten oder sogar dem Steinsockel des Vorgängerbaus.
Von den sie umgebenden Gebäuden hebt sich die Zehntscheuer vor allem durch ihre Größe und Höhe sowie durch den geschosshohen Steinsockel ab. Das Fachwerk ist sehr regelmäßig und schlicht und zeigt die typischen Formen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Relativ eng gestellte Ständer, Brust- Sturz- und Zwischenriegel sowie geschosshohe Streben bilden ein engmaschiges Gitter, das seine Spannung und Abwechslung aus den unterschiedlichen Ständerabständen bezieht. Die Geschosse werden betont voneinander abgesetzt, da zwischen Rähm und Schwelle2 in dichter Reihung die Stichbalken nach außen vortreten, so dass fast eine Art Fries entsteht. … Das mächtige Schopfwalmdach ist eine bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts beliebte Bauform, die mit dem 19. Jahrhundert eher wieder aus der Mode kam.
Die Zehntscheuer ist sowohl gegen die Königstraße (der sie den Giebel zuwendet) als auch gegen die Hildrizhauser Straße hinter die Bebauung zurückgesetzt. Die Zufahrt lag auf der Traufseite, gegenüber dem Kirchportal und beim Kirchbrunnen. Der Hof der Zehntscheuer wird nach dieser Seite von einer hohen Bruchsteinmauer begrenzt. Das rundbogige Einfahrtstor führt genau auf die Mitte des Gebäudes zu, wie es dessen in der Anordnung der Dachgauben und der Fenster, der beiden Tore und seitlichen kleinen Anbauten streng regelmäßiger Anlage entspricht.
Die Ehninger Zehntscheuer im Jahr 2019. Gut zu erkennen sind das schlichte, regelmäßige Fachwerk und der geschoßhohe Steinsockel. (Foto: S. Kittelberger)
Erstveröffentlichung: Häuser und Inschriften in Ehningen – Zeugen der Ortsgeschichte (Ehningen – Beiträge zur Ortsgeschichte), hrsg. von der Gemeinde Ehningen in Zusammenarbeit mit dem Heimatgeschichtsverein Ehningen e.V., Geiger-Verlag, Horb a. N., 1991, S. 121-124.
Der Text wurde gekürzt.
Mit freundlicher Genehmigung der Gemeinde Ehningen und des Heimatgeschichtsverein Ehningen
Referenz
↑1 | So schildert der badische Arzt Adolf Kußmaul das Eintreiben des Zehnten um 1840 aus seiner Erinnerung. (Adolf Kussmaul, Erinnerungen eines alten Arztes, Stuttgart 1899) |
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↑2 | Rechtecke aus Ständern, Schwelle und Rähm bilden das Grundraster eines Fachwerkbaus. Die „(Grund-)Schwelle“ bildet dabei das Fundament, „Rähm“ den oberen Abschluss. |